Deutsch-Syrische Freundschaft


1. Schuljahresanfangsgottesdienst am Mittwoch, den 18. September 2013

 

„Wenn ich esse, denke ich, haben meine Mutter und meine Schwester etwas zu essen?

Wenn ich lache, denke ich, ob auch sie dieser Tage wohl etwas zu lachen haben, und wenn ich schlafen gehe, denke ich, ob sie wohl sicher und am Leben sind.”

So antwortet Mustafa, ein 23-jähriger junger Syrer, auf die Frage, was ihn derzeit am meisten beschäftigt, wenn er an seine Heimat, Syrien denkt, mit Tränen in den Augen.

Ein Artikel in der Allgäuer Zeitung im Sommer brachte uns Religionslehrer auf die Idee, den Schuljahresanfangsgottesdienst Syrien und den syrischen Flüchtlingen zu widmen, die unter den Folgen des seit drei Jahre andauernden Bürgerkriegs leiden. Der Artikel beschrieb in Text und Bild die Lage von zwölf jungen Syrern, die auf dem Auerberg bei Stötten Zuflucht vor der Gewalt in ihrem Heimatland gefunden haben. Drei davon hatten wir in unsere Schuljahresanfangsgottesdienste eingeladen.

Mucksmäuschenstill war es in der voll besetzten Turnhalle, und die sonst oft quirligen Schülerinnen und Schüler, sowohl der Unter-, wie auch der Mittel-und Oberstufen, verfolgten betroffen die Interviews mit den drei syrischen Gästen und betrachteten die Bilder ihrer zerstörten Heimat. Die jungen Männer berichteten von der Liebe zu ihrer Heimat und ihren Familien, die sie zurücklassen mussten, weil sie in ihrer Heimat auf lange Sicht keine Zukunft mehr sehen. Sie haben alles erlebt: die tägliche Zerstörung in ihrer nächsten Umgebung durch einschlagende Bomben, zum Teil in nächster Nähe, über die Verknappung von Lebensmitteln und den Zusammenbruch des Schul-und Universitätsbetriebs bis hin zum Verlust mehrerer Familienmitglieder oder ihrer Inhaftierung.

Nun sind sie seit August in einem Freizeitenheim der evangelischen Kirche auf dem Auerberg untergebracht und wünschen sich nichts mehr als die Zuteilung ihrer Papiere, die die Residenzpflicht für sie aufheben würde, und die Erlaubnis, ihr Studium fortzusetzen und arbeiten zu dürfen. Arzt und Philosophiedozent sind sie, Dekorateur und Dolmetscher, Hoch-und Tiefbau studieren sie, Architektur und andere Studiengänge. Doch im Zuge der deutschen Asylpolitik sind sie zur Untätigkeit auf unbestimmte Zeit verurteilt.

Deshalb antworteten sie auf die Frage, was sie sich neben Frieden für ihr Land am meisten wünschten, arbeiten und einen Beitrag zum Leben in der deutschen Gesellschaft leisten zu dürfen. Unsere Schülerinnen und Schüler waren sichtlich bewegt, als die drei Syrer zum Abschluss sagten, sie liebten Deutschland und seine Menschen und wünschten sich, auch von ihnen angenommen zu werden.

Der Gottesdienst schloss mit Liedern zum Frieden und Gebeten für Syrien und das Schicksal der Menschen dort und auf der Flucht.


2. Treffen in- und außerhalb der Schule

Bereits, als wir Religionslehrer den Gottesdienst vorbereiteten, durften wir etwas von der sprichwörtlichen orientalischen Gastfreundschaft erleben: wir waren zu einem Essen auf dem Auerberg eingeladen und fühlten uns wie in einem nahöstlichen Sternehotel: ein langer Tisch bog sich von einer Vielfalt selbst zubereiteter, arabischer Speisen: Couscous in Variationen, gefüllten Gemüsen aller Art, Humus, köstlichem Brot, Salat und Fleischgerichten, die auf der Zunge zergingen. All dies war unter Regie Osamas, eines der jungen Syrer, entstanden. Dabei ist Osama kein professioneller Koch, sondern Dekorateur. Mindestens ebenso anrührend war die warme, herzliche Atmosphäre, die wir auf dem Auerberg genießen durften. Wir hatten schnell das Gefühl, als würden wir uns schon lange kennen.

Im Oktober dann starteten wir zwei Gegeneinladungen: eine zum Kaffee in der Mensa unseres Internats und eine in den Personalbau auf Initiative unserer dort wohnenden, rührigen Referendare und Referendarinnen. Am Kaffeenachmittag nahmen erfreulich viele Kolleginnen und Kollegen und zum Teil auch deren Ehepartner teil. Von Anfang an herrschte eine Atmosphäre des Willkommens und der freundlichen Begegnung. Die Kollegen hatten Kuchen mitgebracht, die Heimleiter hatten freundlicherweise die Mensa zur Verfügung gestellt, und so konnten wir ohne räumliche Enge einen angeregten und fröhlichen Nachmittag miteinander verbringen. Da wurden Bilder von der syrischen Heimat gezeigt, mit Händen und Füßen geredet und viel gelacht. Zum Schluss gab es noch eine Schulführung für unsere syrischen Gäste und die Aussicht, einander bald wieder zu besuchen.

Dieser Besuch fand bereits zwei Wochen später im Personalbau statt. Unsere Referendare und Referendarinnen hatten alles an Tischen und Stühlen, Geschirr und Besteck zusammengetragen, was sie im Persobau auftreiben konnten. Mit zwei der Syrer waren wir zum Einkaufen gefahren, denn sie hatten sich bereiterklärt, bei und für uns zu kochen. Mit unseren Lebensmitteln im Persobau angekommen, legte Osama gleich los, unterstützt von Malik, Anas und den Referendarinnen. Trotz der räumlichen Enge in der Küche zauberten die drei wieder eine große Tafel mit ihren heimatlichen Köstlichkeiten.

Und als wir dann alle am Tisch saßen, dicht gedrängt und zum Teil nur mit einem Teelöffel zum Essen ausgestattet, da stellte sich plötzlich so etwas wie eine „eucharistische” Stimmung ein. Ja, das muss die Bibel wohl meinen, wenn sie von Abendmahl oder Eucharistie spricht: ein einfacher Raum mit zusammengewürfelten und nicht mehr neuen Möbeln und erfüllt vom Lachen und dem Stimmengewirr von Leuten aus aller Herren Länder, die miteinander teilen, was sie haben an Essen und Trinken, aber auch an Talenten, Erfahrungen und Gefühlen. Es war ganz wunderbar, das zu erleben: junge Leute aus Syrien, Deutschland, Kanada, Frankreich, die miteinander reden, auch hier zum Teil wieder mit Händen und Füßen, essen, lachen, und wie ganz schnell aus ursprünglich Fremden Freunde wurden: Globalisierung im besten Sinne. Wir waren so international, weil unsere Referendare noch andere Referendare eingeladen hatten und derzeit auch eine Fremdsprachenpraktikantin an unserer Schule ist.

Und jüngst waren noch einmal vier von uns auf dem Auerberg, um zu erfahren, wie es unseren syrischen Freunden mittlerweile geht. Sie warten nach wie vor auf ihre Papiere und eine Arbeitserlaubnis. Doch immerhin wird sich in absehbarer Zeit ihre wohnliche Situation verbessern: Ende November sollen sie nach Weilheim umziehen können, wo sie endlich nicht mehr so isoliert leben müssen und wo es öffentliche Verkehrsmittel gibt. Eine große Erleich-

terung! Wir wollen den Kontakt auch dann aufrechterhalten, wenn sie ein bisschen weiter weg sind, denn wir alle empfinden die Begegnung mit den Syrern als Bereicherung und Freude.

Sabine Thilemann